Film Event and Exhibition / Filmforum Museum Ludwig / Projektraum R33 / Cologne (18. – 23.06.2010)
HOMAGE SERGEI PARAJANOV 1924 – 1990 / ONE ARTIST, ONE TOWN, ONE CENTURY
Photgraphy by Yuri Mechitov
EN
“In the temple of cinema there are images, light and reality. Sergei Parajanov was the master of that temple.”
Jean-Luc Godard
Sergei Parajanov (1924 –1990).The artist who mostly lived and worked in Georgia and most of whose films are depicting the idiosyncratic history and epos of the Caucasus, created a highly stylized world of fairy tales and legends, emerging as an alternative reality to the communist ideology in art. Parajanov's works hover on the verge of dream and reality with sumptuous oriental-flavored opulence capturing the last remnants of the particular culture reigning in the region in the beginning of the last century and before. This particular period and some of the leading Georgian and Armenian actors featuring in his films have already long ceased to exist with the onslaught of modernity. Parajanov´s visionary films, such as THE SHADOWS OF FORGOTTEN ANCESTORS, SAYAT-NOVA and THE LEGEND OF SURAMI FORTRESS earned him international acclaim and led to lifelong persecution by the Soviet regime.
DE
„Im Tempel des Films gibt es Bilder, Licht und Realität. Sergej Paradschanow war der Meister dieses Tempels."
Jean-Luc Godard
Sergej Paradschanow (1924 –1990) war einer der originellsten und gefeiertsten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Ähnlich wie bei Tarkowski entwickeln sich Paradschanows Filmerzählungen in einer eigenwilligen Strukturierung durch Assoziationen, Stimmungen und Metaphern. Die Hommage anlässlich seines zwanzigsten Todestag zeigte drei Meisterwerke des legendären Regisseurs, dem es gelungen ist, der sowjetischen Filmbürokratie einen künstlerischen Freiraum abzutrotzen, der ihm erlaubte, vordergründig herkömmliche filmische Sujets in eigener, kompromissloser Weise umzusetzen. Die Filme Paradschanows: DIE FARBE DES GRANATAPFELS, DIE LEGENDE DER FESTUNG SURAMI, sind ein völlig eigenständiges, konsistentes Werk, das eine bewundernswerte, opulente und üppige Synthese von künstlerischen und philosophischen Ideen bildet – eben Cinéma pur. Eine Filmretrospektive mit solchem Schwerpunkt wurde zum ersten Mal dem Kölner Publikum gezeigt.
FILM SERIES:
SAYAT-NOVA / THE COLOR OF POMEGRANATES / Die Farbe des Granatapfels / Zwet granata / Sayat-Nova
UDSSR / Armenia, 1969, 73 min, 35 mm, colour
THE LEGEND OF SURAMI FORTRESS / Die Legende der Festung Surami / Ambavi suramis tzikhisa / Legenda o suramskoj kreposti
UDSSR / Georgia, 1985, 87 min, 35mm, colour
ASHIK-KERIB / Kerib, der Spielmann / Ashik-kerib
UDSSR / Georgia, 1988, 98 min, 35mm, colour
EN
" 'The Color of Pomegranates' by Parajanov, in my opinion one of the best contemporary film directors, strikes with its perfection of beauty”
Michelangelo Antonioni
DE
" 'Die Farbe des Grantapfels' von Paradschanow ist nach meiner Auffassung einer der besten zeitgenössischen Filme, der mit Perfektion und Schönheit beeindruckt."
Michelangelo Antonioni
SAYAT-NOVA / THE COLOR OF POMEGRANATES
Sergej Jutkevič's re-edit of the Armenian release version
Film scene “The Poet in the Prince's Court” (12:42 min)
THE LEGEND OF SURAMI FORTRESS, film shootings in village Gareji, 1985 / photography by Yuri Mechitov
THE LEGEND OF SURAMI FORTRESS, film shootings in village Gareji, 1985 / photography by Yuri Mechitov
THE LEGEND OF SURAMI FORTRESS, film shootings in village Gareji, 1985 / photography by Yuri Mechitov
EN
EXHIBITION:
The film series complements an exhibition with photographs of Yuri Mechitov (*1950), Parajanov´s narrowest friend and confidant. Mechitov has taken photos of the director during many years in his creative universe and also at private moments. Main focus of the exhibition lies on the time about the ’80s and encloses approximately 40 photographs from Mechitov´s into extensive photo archive, which help provide insights into Parajanov's life. In the focus of the photographer stands the Parajanov's home in Tbilisi and his living environments; elements drawn from various moments of the artist's creative story. The exhibition is a trip in the time: one artist, one town, one century.
DE
AUSSTELLUNG:
Das filmische Programm wurde ergänzt durch eine Ausstellung mit Fotografien von Yuri Mechitov (*1950), Paradschanows engstem Freund und Vertrauten, der den Regisseur über viele Jahre hinweg in Arbeitssituationen, aber auch in privaten Momenten fotografiert hat. Der Schwerpunkt der Ausstellung lag auf der Zeit um 1980 und umfasste circa 40 Fotografien aus Mechitovs umfangreichem Fotoarchiv, die einen Einblick in das Leben von Paradschanow gaben. Im Fokus des Fotografen stand der in Tiflis lebende Künstler mit seinen Lebensräumen; Die Ausstellung ist eine Reise durch die Zeit: ein Künstler, eine Stadt, ein Jahrhundert.
Screening room / Projektraum 33
EN
The exhibition presented short films and documentaries of Levon Grigoryan who assisted Parajanov during the shooting of SAYAT-NOVA.
DE
Die Ausstellung zeigte Kurz- und Dokumentarfilme von Levon Grigoryan, der Paradschanow beim Dreharbeiten von SAYAT-NOVA assistierte.
SHORT DOCUMENTARIES:
ANDREI TARKOVSKY AND SERGEI PARAJANOV – ISLANDS / ANDREJ UND SERGEJ / 2002, 39 min
MEMORIES ABOUT SAYAT-NOVA / ERINNERUNGEN ÜBER SAYAT NOVA / 2005, 30 min
I, SERGEI PARAJANOV / ICH, SERGEJ PARADSCHANOW / 2001, 24 min
DE
ERÖFFNUNGSREDE:
Das Projekt ruht auf drei wichtige Botschaften, die mich bis heute im Wesentlichen prägen: Ein Künstler, eine Stadt, ein Jahrhundert... Es geht um Sergej Paradschanow, einen Regisseur, der nie in der großen Sowjet-Enzyklopädie stand. Doch für viele westliche Filmkenner war er ein morgenländischer Zauberkünstler und Märchenerzähler. Paradschanows Geschichte ist die Geschichte eines Abtrünnigen, eines Aussteigers. In Westen wurde er verehrt, und trotzdem, in Georgien, blieb er lange als ein missverstandener Künstler und verachtetes Individuum. Er, ein Armenier, betrachtete sich als „Tbilisser“, wo er 1924 geboren wurde.
Meine erste Begegnung mit Paradschanow liegt in meinen Studentenzeiten in Georgien. Sein Haus in Tbilissi, welches er nach der Entlassung aus der Gefangenschaft 1978 wieder bezog, lag etwa 10 Minuten Fußweg von der Kunstakademie entfernt. Wir, junge Kunststudenten waren bei ihm immer sehr willkommen. Er schloss nie seine Tür ab, obwohl sich in seinem Haus einige wertvolle Sachen befanden – er war der Sohn eines Antiquitätenhändlers und selbst ein Sammler aus Leidenschaft. Er besuchte gerne Trödel- und Flohmärkte, wo er Requisiten für seine Filme kaufte. Seine Schöpfungen: Collage, Puppen, Assemblagen und Objekte, schmückten die Wände der engen Wohnung. „Das waren die Zeugnisse einer Privat-Mythologie, die er sich in den Jahren verfluchter Arbeitslosigkeit geschaffen hat.“ (Zitat: Der Spiegel)*1 Andrej Tarkowski schrieb auf einer Tbilissi-Reise in seinem Tagebuch: “Er lebt in den ärmlichsten Verhältnissen, aber niemand von seinen häufigen Gästen, die bereitwilligst seine Geschenke akzeptieren, würde auch nur einen Finger rühren, um ihm eine Wohnung zu verschaffen. Er hat weder Wasser noch Gas und auch kein Bad, und er ist krank.“ *2
Am Anfang meines Postgraduierten Studiums in KHM drückte mich Ute Dilger, die in KHM Presse und Öffentlichkeitsarbeit leitete und immer noch leitet, ein Zettel in die Hand, wo ich auf Georgisch lesen könnte: Die Legende der Festung Surami (ambavi suramis cixisa). Es ging um ein Seminar von Professor Dr. Hinderk M. Emrich und Regisseur Peter Lilienthal „Zur Historie von Zeitgeist, Lebensgefühl und Medialität“ *3 und ich durfte über Paradschanow erzählen! Was für eine Herausförderung für mich damals! Es war im Juni 1996! Wir zeigten in der Aula die 35mm Filmkopie von 1985 (aus der Deutschen Kinemathek - Museum für Film und Fernsehen in Berlin), und anschließend diskutierten wir darüber. Wie herrlich!
DIE LEGENDE DER FESTUNG SURAM I war ein Film, den Paradschanow nach 15 Jahren Untätigkeit wieder drehen durfte. Die Dreharbeiten der FESTUNG SURAM I fanden in einer historischen Ortschaft in der ostgeorgischen Halbwüste „Garedji“ statt. Es war damals ein Sperrgebiet, 60 km von Tiflis entfernt und wurde von der russischen Armee zum Übungsplatz benutzt. Außerdem, hier verläuft die Grenze zwischen Georgien und Aserbeidschan. Es war für mich ein Rätsel, wie Paradschanow die Drehgenehmigung dort zu drehen bekam.
Kleine Bemerkung: In der Mitte der 1980er war die Gesamtlage in der Sowjetunion immer noch hoffnungslos: Nach dem Erfolg bei den Filmfestspielen Berlin 1982 verließ Regisseur Otar Iosseliani Tbilissi und übersiedelte nach Paris, weil seine künstlerische Arbeit in der UDSSR kaum noch möglich war. Heute weiß ich, dass hinter all diesen Künstlern Eduard Schewardnadse stand – damals Erster Sekretär der Kommunistischen Partei in Georgien. So konnten diese Regisseuren Filme mit politischen und nationalistischen Akzenten drehen, und manche unter ihnen sogar nach den Westen auswandern.
Paradschanow nahm am Set an allem großen Anteil: er inszenierte, suchte Requisiten aus, probierte Kostüme an, stand beim Maskenbildner. Der Film, dem eine georgische Legende zugrunde liegt, wurde nach der Fertigstellung im Tbilisser Filmhaus gezeigt und brachte Unklarheit darüber, ob die Ästhetik des Filmes georgisch oder eher armenisch geprägt wäre – ein ewiges Thema unter den Nationalisten. Der Film bekam mehrere Auszeichnungen im Ausland und wieder kaum Verständnis in der UdSSR.
Das ist kurz gefasst, was ich Ihnen über DIE LEGENDE DER FESTUNG SURAMI erzählen wollte, wenn ich schon das Glück hatte, einige Tage beim Dreh als Szenografie-Studentin dabei zu sein.
Was SAYAT-NOVA anbelangt, von 1968, ist dieser Film „das kühnste, seltsamste, erstaunlichste Ding, das – neben Tarkowskis „Der Spiegel“ – in jenen Jahren in der Sowjet Union entstanden ist“.(Zitat: Der Spiegel) *4 Das Drehbuch zu diesem wirklichen Meisterwerk wurde einige Jahre, bevor ich geboren wurde, geschrieben – so bleibt dieser Film für mich als eine „Zauberei“ und ein Märchen aus meiner Kindheit.
Sein letzter Film ASHIK KERIB von 1988, den er Tarkowski widmete, fand in der UDSSR endlich Anerkennung: Es war bereits eine etwas liberale Zeit – Perestroika – und der Film wurde in Moskau viermal mit dem „Nike“ ausgezeichnet. Paradschanow wurde ein Held. Doch er ist in ASHIK KERIB tief in die Ikonographie des Islams getaucht – sowohl für den Nationalismus der Armenier als auch der Georgier ein nackter Verrat.
In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens drehte Paradschanow nur noch diese drei Filme, die letztendlich zu einer „Transkaukasischen Trilogie“ einzuordnen sind. Diese drei Filme zeigen wir ab Sonntag im Filmforum im Museum Ludwig, Es werden 35mm-Kopien mit deutschen Untertiteln vorgeführt.
Irina Kurtishvili
*1/4 Der Spiegel, N26, 1988
*2 Andrej Tarkowski in „Martyrolog“,6. Januar 1982, Hotel Iveria Tiflis, S. 37
*3 Volltext / Vorlesung 03.06.1996: Wortlosigkeit und das Schweigen des Dichters – Die Festung – „Über die Verwandlung von Zeit in Gegenwart im Film / Vorlesungen am der Kunsthochschule für Medien Köln (KHM) 1995-2005, von Hinderk M. Emrich (Hg.)
Sergei Parajanov in his flat in Kote Meskhi street in Tbilisi / photography by Yuri Mechitov
DE
SERGEJ PARADSCHANOW, BIOGRAFIE:
Sergej Paradschanow wurde als Sohn eines armenischen Kunst- und Antiquitätenhändlers am 9. Januar 1924 in Tbilissi (Tiflis) geboren. Nach dem Studium am Konservatorium in Tbilissi ließ er sich am Moskauer Filminstitut WGIK zum Regisseur ausbilden. Anschließend arbeitete er im Filmstudio Kiew. Trotz des schlagartigen internationalen Erfolges seines 1965 in der Ukraine gedrehten Spielfilms SCHATTEN VERGESSENER AHNEN werden ihm in der Folgezeit keine weiteren Arbeitsmöglichkeiten gegeben. Obwohl westliche Kritiker ihn mit Eisenstein vergleichen und sein Film16 internationale Festivalpreise erhält, konnte er keines seiner eingereichten Drehbücher realisieren.
1968 nahm Paradschanow das Angebot des armenischen „Studio Eriwan“ an, einen Film über das Leben des in Tiflis lebenden armenischen Dichters Sayat Nova zu drehen. Der Film wurde fertiggestellt, aber seine Distribution wurde abgelehnt. Erst vier Jahre später, zensiert und um 20 Minuten gekürzt, wird SAYAT-NOVA in einer geringen Kopienzahl unter dem neuen Titel DIE FARBE DES GRANATAPFELS freigegeben. Für den Export ins Ausland blieb er aber weiterhin gesperrt.
1973 wird Paradschanow verhaftet, wegen Kunsthandels, Homosexualität und antisowjetischer Propaganda angeklagt und zu einer sechsjährigen Lagerhaft im Gulag verurteilt. Im Gulag schuf Paradschanow Collagen und Zeichnungen. Im Ausland wurde sein Ruf als Ausnahmeregisseur durch illegale Kopien von SAYAT-NOVA, die auf Festivals prämiert wurden, gefestigt. Aufgrund von Interventionen sowjetischer sowie westlicher Künstler wie Fellini, Rossellini, Antonioni und Aragon wurde Paradschanow 1978 frei gelassen.
Pardaschanow zog nach Tbilissi.1982wurde er dort wegen angeblicher Beamtenbestechung erneut verhaftet und verbrachte ein Jahr in Gefängnis.1984 wurde das Arbeitsverbot auf Betreiben der georgischen Nomenklatura aufgehoben. Nach 15 Jahren Untätigkeit konnte er 1984 wieder drehen. Er arbeitete nun für das „Studio Georgien Film“. In seinem späten Meisterwerk DIE LEGENDE DER FESTUNG SURAMI 1985 zeigt sich Paradschanow als ein Wanderer zwischen verschiedenen Kulturen. Sein letzter Film ASHIK KERIB (Kerib, der Spielmann) entstand 1988 in Aserbeidschan und wurde mit dem Europäischen Filmpreis für die beste Ausstattung ausgezeichnet.
Im Februar 1988 erhielt er, bereits an Krebs erkrankt, auf dem Rotterdamer Filmfestival die Auszeichnung „Regisseur der Zukunft“. Nach eigenen Aussagen gegenwärtig nur „auf Bewährung” frei, war er im Juni 1988 Gast des Münchener Filmfests, das zum ersten Mal in der Filmgeschichte überhaupt eine fast vollständige Werkschau von Paradschanows Filmen zeigte.
In jener Zeit lehnte Paradschanow jedes Angebot ab, dessen Realisierung ihn gezwungen hätte, ins Ausland zu reisen – bis auf einen Stoff über Wolfgang Amadeus Mozart, der in Wien hätte verfilmt werden sollen. Seine schwere Krankheit hinderte ihn schließlich daran, dieses Projekt in Angriff zu nehmen.1990 begegnen ihm seine Freunde und Kollegen zum letzten Mal in einem Krankenhaus nicht weit von Studio „Georgien Film“ in Tbilissi. Kurz darauf, am 21. Juli, stirbt Sergej Paradschanow mit 66 Jahren in Eriwan.
Project: PARAJANOV, artist's book by Irina Kurtishvili, 2011